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Reinhören in die Wissenschaft: 30 Jahre Gasthörerstudium in Hildesheim

Wenn Anfang April die Vorlesungen beginnen, dann startet auch Hans-Joachim Holz wieder in die Vorlesungszeit. Er kopiert Bücher in der Uni-Bibliothek, sucht passende Vorlesungen über das Online-Vorlesungsverzeichnis, trifft sich mit Kommilitonen, um ein Referat vorzubereiten, trägt einen grünen Kapuzenpullover. Wie andere Studentinnen und Studenten auch. Holz ist bloß 50 Jahre älter als die meisten Studierenden auf dem Campus.

Hans-Joachim Holz besucht seit 2009 als Gasthörer nicht nur Vorlesungen, sondern auch viele Seminare an der Universität Hildesheim. Er fährt zwei bis drei Mal in der Woche etwa 40 Kilometer mit dem Auto nach Hildesheim. „Lernen mit 72 Jahren ist spannend. Ich war seit 1978 bis zu meiner Pensionierung 2009 Grundschullehrer in Bad Gandersheim. Nun gehe ich zur Universität. Das Lernen hört nicht auf.

Ich muss aber keine Pädagogik-Seminare besuchen.“ Holz wählt, wie viele der Gasthörenden, die Fächer Geschichte, Soziologie, Philosophie und Politik. Beliebt sind zum Beispiel die Vorlesungsreihe „Europagespräche“ von Professor Michael Gehler, Experte für Europäische Geschichte und Integration, sowie die Literatur-Vorlesungen von Professor Hanns-Josef Ortheil. „Im Sommersemester werde ich auf jeden Fall auch das Geschichtsseminar über Vergangenheit und Gegenwart und ein Ethik-Seminar über Gerechtigkeit besuchen“, sagt Holz kurz vor Semesterbeginn.

 Ist wieder auf dem Campus: Hans-Joachim Holz (72 Jahre) (hier im Sommersemester 2015 im Hörsaal und in der Universitätsbibliothek) geht seit sechs Jahren zur Universität Hildesheim, er bereitet mit Studierenden Referate vor und besucht Vorlesungen. Nur für Prüfungen muss er nicht mehr lernen. Am 4. April 2016 startet Holz in das Sommersemester. [Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim]

Ist wieder auf dem Campus: Hans-Joachim Holz (72 Jahre) (hier im Sommersemester 2015 im Hörsaal und in der Universitätsbibliothek) geht seit sechs Jahren zur Universität Hildesheim, er bereitet mit Studierenden Referate vor und besucht Vorlesungen. Nur für Prüfungen muss er nicht mehr lernen. Am 4. April 2016 startet Holz in das Sommersemester. [Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim]

Das Studium bietet eine Möglichkeit, nicht von 100 auf 0 zu fallen, nachdem man im Berufsleben ausscheidet. „Es ist ein Geben und Nehmen und schön, mit den jungen Leuten gemeinsam zu arbeiten, ich mache auch in Referaten und Gruppenarbeiten mit, eigentlich nehme ich alles mit, was zum Studium gehört, nur Klausuren schreibe ich nicht mehr.“ Er habe schon viele Beziehungen zu den Studierenden geknüpft und sieht bekannte Gesichter auf dem Campus wieder.

„Mit dem Gasthörerstudium öffnet die Universität ihre Lehre für Interessierte aus der Stadt und der Region“, sagt Carola Iller, Professorin für Weiterbildung an der Universität Hildesheim. Die Gasthörerinnen und Gasthörer sind zwischen 21 und 90 Jahre alt. Sie können „reinhören in die Wissenschaft“, so Iller. Die Universität sei für viele „eine Informationsquelle, in der nicht veraltetes Wissen, sondern das aktuellste Wissen weitergegeben wird“. Gasthörer können sich aus den vielfältigen Vorlesungen und Seminaren ihr individuelles Studienprogramm zusammenstellen.

Das Gasthörerstudium in Hildesheim gibt es seit 30 Jahren. Pro Semester starten zwischen 100 bis 160 Gasthörer in die Vorlesungszeit an der Universität Hildesheim, davon sind rund 80 Prozent über 60 Jahre. Unter ihnen: Senioren, Frührentner, jemand, der die Zeit der Arbeitslosigkeit überbrückt. Seit Frühjahr 2015 studieren junge Erwachsene, die geflohen sind, an der Uni. Das Gasthörerstudium ist eine Chance, die deutsche Sprache und Wissenschaftssprache zu lernen und die Verbindung zum Uni-Alltag aufzubauen.

Die Universität bietet kein gesondertes Seniorenstudium an, Gasthörende studieren im regulären Uni-Betrieb. Es gibt Einführungsveranstaltungen, um sich auf dem Campus und in den Online-Lernplattformen der Uni zurechtfinden. „Zwischen den Generationen zu lernen, das ergibt sich nicht zufällig. Wir können den Dialog zwischen Jüngeren und Älteren hochschuldidaktisch fördern und fordern, damit es nicht zu Konflikten kommt“, sagt Carola Iller.

„Wenn Ältere sich mit ihren Berufserfahrungen zu Wort melden, kann das sehr wertvoll für das Seminar sein, aber es muss auch eingeordnet, diskutiert werden“, sagt Iller. Er möchte niemandem einen Platz wegnehmen, sagt auch Hans-Joachim Holz. Auch die Bereitschaft der Lehrenden sei wichtig, damit intergeneratives Lernen gelingt“, sagt Iller.

Die Studentin Lisa Fritsch hat ihre Abschlussarbeit über das Gasthörerstudium in Hildesheim geschrieben. Ihre Bestandsaufnahme zeigt: Nur etwa 60 % der Gasthörenden haben ein Studium absolviert. Der Großteil der Gasthörenden kommt aus der Region Hildesheim. Einzelne legen lange Strecken zurück, um nach Hildesheim zu gelangen, um zu lernen: Sie kommen aus Freihung (457 km) und Gießen (269 km).

Was das Gasthörerstudium für die Teilnehmer bedeutet, dokumentieren Briefe, die auch Monate später noch in Hildesheim eintreffen. Eine ältere Frau, die in Hildesheim Literatur studiert hat, hat in liebevoller Kleinarbeit ein Literaturheft mit Texten und Zeichnungen produziert und der Uni als Erinnerung an ihre Studienzeit zugeschickt.

Los geht’s: Gasthörer starten ins Sommersemester
Die Semestereröffnung der Gasthörenden findet am Montag, 4. April 2016 statt. Professor Dr. Herbert Asselmeyer vom Institut für Sozial- und Organisationspädagogik spricht über das „Umgehen mit dem Unvorhersehbaren“. Der Vortrag beginnt um 16:00 Uhr im neuen Forum am Universitätsplatz 1 (3. Obergeschoss, Raum N 330). Zuvor findet ab 14:00 Uhr eine Einführung in das Online-Vorlesungsverzeichnis und in das „Learnweb“ – eine digitale Lernplattform, auf der Materialien zu Vorlesungen und Seminaren zugänglich sind – statt.

Bürgerinnen und Bürger, die sich für das Gasthörerstudium interessieren, können sich an Ursula Ullrich und Kathrin Vornkahl wenden (Telefon 05121.883-92606, -92600). Wer sich für ein Gasthörerstudium interessiert, kann sich noch bis zum 15.04.2016 anmelden. Die Kosten betragen je nach Belegung 100 bis 150 Euro pro Semester.

Quelle: Uni Hildesheim

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